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Überlegungen zur Pandemie mit COVID-19 (Coronavirus SARS-CoV-2)
Vorbemerkung
Die Pandemie mit dem Corona Virus hat medizinische und gesundheitspolitische Aspekte, die weithin diskutiert und bekannt sind. Nach dem gesellschaftlichen Commonsense gibt es bei dem neuartigen Coronavirus gibt es keine Immunität und der Verlauf ist deutlich schwerer als bei den bekannten Grippeepidemien. Deshalb besteht die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems. Darum sind entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um die Kurve der Infizierten abzuflachen. Das betrifft vor allem die Einschränkung der sozialen Kontakte und die Schließung der sozialen Kontaktplätze. Diese Perspektive prägt das politische Handeln. Doch ereignet sich die Pandemie in einem gesamtgesellschaftlichen Feld, das auch in Betracht genommen werden muss. Dabei sind psychologische und psychohistorische Aspekte bedeutsam.
Psychologische und psychohistorische Perspektiven
Die beträchtlichen Todesraten im Verlauf der früheren Grippesaisons, zuletzt 1918/19 ca. 25 000 Todesfälle in Deutschland (Saisonbericht des Robert Koch-Instituts), haben in der Vergangenheit kaum Beach-tung gefunden. In der jetzigen Reaktion auf das Coronavirus kann man eine Zunahme an Empathie für die betroffenen Älteren sehen, die auch vor einigen Jahren zur Einführung der Pflegeversicherung führte. Diese Zunahme an Empathie steht wohl in Zusammenhang mit der vergleichsweise größeren wirtschaftlichen und sozialen Sicherheit und dem besseren Gesundheitszustand der Bürger.
Neuartig sind weiter die weltweit gleichartige Aufmerksamkeit und das weltweit gleichartige Engagement. Man könnte hier von einer die Welt einigenden Solidarität als einem neuen Phänomen sprechen.
Neuartig ist auch die große solidarische Einigkeit, zum Schutz der Älteren auf Freiheitsrechte zu verzichten und wirtschaftliche Einbußen in Kauf zu nehmen. Der gewisse Alarmismus in den Entscheidungen und in der Intensität der Nachrichten-sendungen könnte damit zusammenhängen, dass in unserer Leistungs-, Wohlstands- und Freizeitgesellschaft das Thema der Begrenztheit des Lebens weit außerhalb des täglichen Wahrnehmungshorizonts liegt. Durch die schweren Fälle wurde Sterblichkeit auf einmal für jeden zum Thema, auch wenn er nicht im Gefährdungsbereich lag.
Dazu kommt noch als Rahmenbedingung ein Unbehagen und ein Bedrohungsgefühl, dass durch unsere industrielle Lebensform Schäden in Bezug auf die Erde und das Klima verursacht werden, die katastrophale Entwicklungen auslösen könnten. Die reale beträcht-liche wirtschaftliche Prosperität wird dadurch unheimlich. Solche bedrohlichen Widersprüche in einer Gesellschaft sind nach psychohistorischen Beobachtungen typisch für eine Situation, aus der heraus Kriege entstehen. Es gab und gibt Anzeichen für eine solche Entwicklung. Eine in dieser Weise bedrohliche und widersprüchliche Situation, wo es keine Lösung gibt, kann dazu führen, dass man einen Schuldigen im Außen sucht und dann die „Lösung“ in der Bekämpfung eines Feindes oder Sündenbock findet. Eigentlich wäre eine kreative Transformation gefordert gewesen, weil, wie Einstein gesagt hat, „You cannot solve a problem with the same mindset, that created the problem“.
Statt eines Krieges gab es nun einen Umschlag in eine weltweite einigende Solidarität im Kampf gegen den Coronavirus als den gemeinsamen Feind oder Sündenbock. In diesem Sinn formulierte ja auch Macron „Nous sommes en guerre“ und ähnlich die Ministerpräsidenten von Rumänien und anderen Ländern. Auch das wäre eine Art psychohistorischer Fortschritt, in dem man nicht in einen realen Krieg zieht, sondern einen virtuellen und das auch noch mit einer Solidarität mit den anderen Nationen.
All das könnte für einen Schritt in Richtung auf eine neuartige Solidarität in einem internationalen und globalen Ausmaß bedeuten. Ein erster Schritt war die wirtschaftliche Globalisierung, bei der es aber noch ganz um den egoistisch-wirtschaftlichen Vorteil ging, während die erstaunliche internationale Solidarität im „Kampf“ gegen den Corona- virus eine Art Globalisierung auf der Ebene eines Gemeinschaftsgefühls darstellt.
Ein Aspekt dabei sind die archaischen Gefühle um das Opfern, eine gute Ernte macht Schuldgefühle, die eben über Ernteopfer beschwichtigt werden. Ich hatte oben gesagt, dass den Kriegen oft Perioden der Prosperität vorangehen, auf die wir in ähnlicher Weise mit Schuldgefühlen reagieren können, die man durch Opfer oder eben Abreagieren an einem Sündenbock oder Feind managed.
Im Fall des Coronavirus wäre eben das Neuartige, dass wir nicht, wie in den bisherigen Kriegen, unsere Kinder opfern, sondern unsere Freizeit und wirtschaftliche Vorteile. Auch das sind Opfer, aber auf einer sozialen Ebene.
Das würde also zu der Interpretation führen, dass die bisher übersehene oder verleugnete Dramatik von Grippeepidemien mit beträchtlichen Erkrankungen und Todesraten aufgrund der gestiegenen Empathie in den Gesellschaften auf einmal wahrgenommen wird, was aber gleichzeitig auch auf dem Hintergrund einer allgemeinen Beunruhigung über die Auswirkungen zu einer Zunahme sozialer Solidarität und Opferbereitschaft führt.
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